Schleichende Einwanderung - wärmeliebende Heuschrecken im Kreis Lippe

 

Mit rund 50 Arten ist die Heuschreckenfauna in NRW relativ überschaubar. Kamen bis vor 20 Jahren im Kreis Lippe nur etwa 30 Arten regelmäßig vor, so hat sich das in den letzten Jahren grundlegend geändert. Immer mehr wärmeliebende Heuschrecken wandern bei uns ein. Die ersten Pioniere bauen im günstigen Fall inselartige kleine Populationen auf, die zumeist nur zufällig entdeckt werden. So haben wir im Jahr 2010 vom Fund einer seitdem stetig anwachsenden Feldgrillen-Population auf dem Kirchberg bei Lügde berichtet. 2011 folgte der Nachweis einer Sichelschrecke in unmittelbarer Nachbarschaft und 2020 die Entdeckung von Goldschrecken auf dem Hochplateau des Schwalenberger Waldes.

Ausgehend von den besonders günstigen Biotopen der frühen Ansiedlungsphasen wurden in diesem Sommer zunehmend auch weniger ideale Lebensräume besiedelt. So hat die Große Goldschrecke innerhalb von nur 2-3 Jahren die feuchten Saumgesellschaften der Auen im gesamten lippischen Südosten besiedelt und ist auch im Blomberger und Steinheimer Becken (u.a. am Norderteich) inzwischen in hohen Dichten anzutreffen. Die Große Goldschrecke gehört zu den frühen "Sängern" der heimischen Feldheuschrecken. Wer Ende Juni auf die weichen Laute der stridulierenden Männchen achtet wird die trotz ihrer auffälligen Färbung nur schwer zu entdeckende Art fast überall antreffen.

Auch die flugfreudige Sichelschrecke ist inzwischen aus ihrem Nischen-Dasein heraus. Wurde früher noch jeder Einzelfund bejubelt, so meldeten Rüdiger Haase und Stefan Häcker 2023 individuenstärkere Vorkommen bei Blomberg, auf der Egge sowie im Umfeld des Teutoburger Waldes. Auch auf den Halbtrockenrasen des Lügder-Pyrmonter Talkessels ist die Art inzwischen regelmäßig vertreten.

 

Wer zu Fuß geht braucht länger

Wesentlich langsamer erfolgte die  Ausbreitung der wenig ausbreitungsfreudigen Feldgrille. Nachdem über fast 10 Jahre nördlich des Teutoburger Waldes nur isolierte Einzelvorkommen am Kirchberg bei Lügde, bei Silixen und auf den Sandböden nördlich des Teutoburger Waldes bekannt waren, besiedelt die Art nun nun auch das nordlippische Bergland. Nach ersten Hinweisen im Vorjahr durch Jan Fleischfresser wurden im Frühjahr 2023 im Kalletal und im Extertal auf vielen Grünlandflächen und im Randbereich von Äckern Ansammlungen von 1-5 singenden Männchen festgestellt. Nachdem die Art nun in die Fläche vorgedrungen ist, wird die weitere Verdichtung der Population schneller erfolgen.

Anfang Oktober 2023 konnte Michael Derra in Brakelsiek mit einem Paar der fluguntüchtigen Südlichen Eichenschrecke eine weitere neue Heuschreckenart im lippischen Südosten nachweisen. Die früher in Süddeutschland beheimatet Art ist bereits lange als Bewohner der Senne bekannt (Chr. Venne Biol. Stat Pad. mdl.) und breitet sich stetig nach Norden aus. Trotz der verkürzten Flügel verfügt sie über ein hohes Ausbreitungspotential, da sich die so zart wirkenden Eichenschrecken auch bei höheren Geschwindigkeiten eine Zeit lang an Autos festhalten können. Dazu kommt, wie bei allen Heuschrecken, natürlich auch die Möglichkeit einer passiven Verbreitung von Eier und Larven über transportierten Boden oder Pflanzmaterial.

Das sind noch nicht alle....

Drei weitere Arten sind bereits im Kreis Lippe eingetroffen, stehen aber noch am Anfang ihrer Einwanderung. Hier sind die Blaue Ödlandschrecke zu nennen, die nach ersten Nachweisen bei Rinteln (Thomas Brand) von Stefan Häcker nun auch im Stadtgebiet Detmold nachgewiesen wurde. Dort fand er auch die Langflügelige Schwertschrecke. Rüdiger Haase lieferte dann noch einen Fotobeleg der Westlichen Beißschrecke aus Blomberg. Noch etwas weiter weg - aber vermutlich auch bald hier - ist das Weinhähnchen.

Schaut man sich die aktuellen Verbreitungsbilder der Deutschen Gesellschaft für Orthopterologie e.V. an, so wird deutlich, dass die meisten Arten unseren Kreis sowohl von S und SW, als auch über den Weserraum aus dem Südosten erreichen.

 

 

Verlierer des Klimawandels

In keiner anderen Artengruppe werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenzusammensetzungen im Kreis Lippe gegenwärtig so deutlich, wie bei den Heuschrecken. So faszinierend die Entdeckung neuer Arten in der Region auch ist, die Begeisterung hierüber sollte nicht verdecken, dass die Kehrseite dieser Entwicklung dramatische Rückgänge bei anderen Arten sind. Allen voran sei hier der Sumpfgrashüpfer erwähnt, aber auch Weißrandiger Grashüpfer, Sumpfschrecke und sogar der Bunte Grashüpfer werden deutlich seltener.

Der entscheidene Erfolgsparameter für die erfolgreiche Einwanderung und Etablierung wärmeliebender Heuschreckenarten bei uns ist in der Regel die erreichte Wärmesumme. Nicht im Widerspruch hierzu steht, dass zumindest einige der vordringenden Arten zu bestimmten Entwicklungsphasen durchaus ein etwas feuchteres Mikroklima benötigen. Offensichtlich bietet der Kreis Lippe inzwischen (regelmäßig) die notwendigen Klimabedingungen.

Am Ende bleibt ein ungutes Gefühl und die Erkenntnis, dass der Klimawandel bei uns in vollem Gange ist.

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